Der große Irrtum der Duzkultur
Im deutschen Sprachraum haben wir eine besondere sprachliche Möglichkeit: Wir können entscheiden, ob wir unser Gegenüber förmlich mit „Sie“ oder freundschaftlich mit „Du“ ansprechen. Es ist ein kleiner, aber bedeutender Schritt, der Beziehungen vertiefen und Nähe schaffen kann.
In meiner beruflichen Praxis habe ich es oft erlebt: Wenn man sich als Team besser kennt, gemeinsame Erfolge feiert und ein vertrauensvolles Miteinander pflegt, ergibt sich das „Du“ meist von selbst. Es entsteht als Ausdruck einer gewachsenen Beziehung, getragen von gegenseitigem Respekt und Sympathie. Und genau darin liegt die Kraft dieses kleinen Wortes. Es signalisiert: Wir sind auf einer Wellenlänge.
Doch in letzter Zeit beobachten wir einen Trend: Viele Unternehmen führen das „Du“ als Standard ein, verordnen es quasi von oben. Die Idee dahinter ist nachvollziehbar – man möchte ein lockeres, modernes Betriebsklima fördern. Aber erreicht man das wirklich?
Warum verordnete Nähe nicht funktioniert
Hier liegt der Irrtum: Nähe und Vertrauen lassen sich nicht erzwingen. Für viele Mitarbeiter fühlt sich die plötzliche Ansprache mit „Du“ durch fremde Kollegen oder gar die Geschäftsführung nicht natürlich an. Statt Nähe entsteht oft das Gegenteil: Unwohlsein, Distanz oder sogar Misstrauen.
Das liegt daran, dass Vertrauen und Sympathie wachsen müssen. Das „Du“ ist ein Resultat – kein Ausgangspunkt. Eine Duzkultur per Dekret zu schaffen, gleicht dem Versuch, ein Kind zum Basketballtraining zu schicken, in der Hoffnung, es würde dadurch größer, weil alle Basketballer, die man kennt, zwei Meter groß sind. Der Zusammenhang ist zwar sichtbar, aber die Schlussfolgerung ist falsch.
Eine Frage der Wahlfreiheit
Eine wirklich lockere und freundschaftliche Unternehmenskultur zeichnet sich dadurch aus, dass Menschen selbst entscheiden können, wie sie miteinander umgehen wollen. Die Freiheit, das „Sie“ zu wählen, ist genauso wertvoll wie die Freiheit, sich für das „Du“ zu entscheiden. Denn diese Wahl ist Ausdruck von Respekt und Rücksichtnahme.
Was Unternehmen tun können
Statt das „Du“ vorzuschreiben, sollten Unternehmen die Grundlagen für eine gute Zusammenarbeit legen: ein wertschätzendes Miteinander, offene Kommunikation und die Möglichkeit, Beziehungen organisch wachsen zu lassen. Führungskräfte können hier mit gutem Beispiel vorangehen, indem sie echtes Interesse an ihren Teams zeigen und Vertrauen aufbauen. Das „Du“ ergibt sich dann von selbst – dort, wo es für alle Beteiligten richtig ist.